Merkzeichen GI im Scherbehindertenausweis
Der Verfasser dieses Berichtes ist mit 61 Jahren, nach 45 jähriger Berufstätigkeit auf Grund einer Schwerbehinderung in Rente gegangen.
Ende der 80-er Jahre bemerkte er, dass seine Gesprächspartner im Beruf und auch Privatleben immer leiser sprachen. Er war ja noch der Meinung, gut hören zu können. Im Zeitraum von 1990 – 2007 ist er in einem Essener Krankenhaus jeweils 5 x am rechten und linken Ohr operiert worden, u.a. Stapes- und Tympanoplastiken bei dennoch steigender Schwerhörigkeit auf beiden Ohren. In diesen Jahren hatte er immer beidseitige Im-Ohr-Hörgeräteversorgung. Unmittelbar nach einer empfohlenen Vibrant-Soundbridge-Operation links im Jahr 2007 ist er auf diesem Ohr ertaubt. Auf dem rechten Ohr bestand und besteht eine an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit.
Mit dieser Situation hatte er sich abgefunden und war froh, dass er wenigstens auf dem rechten Ohr hören konnte, wenngleich das auch nur mit stärksten Hinterohr-Hörgeräten möglich war.
Im Herbst 2012 empfahl ihm sein HNO-Arzt in Gladbeck eine Untersuchung im CI-Zentrum Ruhrgebiet des St.-Elisabeth-Krankenhauses in Bochum, um Möglichkeiten einer Versorgung mit einem Cochlear-Implantat festzustellen. Sein Onkel sei bereits mit besten Ergebnissen erfolgreich in Bochum implantiert worden.
Die Frage von Risiken möglicher Eingriffe am Ohr stellte sich für ihn nicht. Das Ohr war ja schon kaputt, mehr geht nicht. Also ist er ohne Erwartungen im Oktober 2012 in die ausgedehnten Untersuchungen gegangen. Im Ergebnis: Er war gut geeigneter CI-Kandidat für das linke Ohr. Auch das rechte Ohr – im Fall des Falles – wurde mit untersucht und für „CI-geeignet" diagnostiziert.
Implantation in der Bochumer Klinik fand in der Woche vor Ostern 2013 statt, nach 4 Tagen konnte er am Ostersonntag bereits nach Hause fahren. Am 26. April 2013 fuhr er mit sehr gemischten Gefühlen zur Prozessoranpassung nach Bochum. Er war überwältigt, konnte nicht nur hören, sondern sofort an diesem Tag auch schon recht gut verstehen! In der ambulanten Rehabilitation im CI-Zentrum Ruhrgebiet in Bochum wurden stetig Verbesserungen erzielt. Aber einen Wermutstropfen gibt es dennoch: Musik hören ist mit dem Implantat für ihn kein wirklicher Genuss. Ist aber zu verschmerzen.
Schon geraume Zeit vor der Implantation habe er gute telefonische Gespräche mit Elvira Mager vom CIV-NRW geführt und wurde von ihr sehr positiv auf den Eingriff eingestimmt. Unmittelbar nach dem ersten Hörerfolg trater er in die CI - SHG Ruhrgebiet-Nord und später in den CIV-NRW ein. Er wollte und will etwas aus den Erfolgen der Gruppe zurückgeben.
Intensives Studium der CIV-News und der „Schnecke" sowie Stöbern im Internet machten ihn auf das Merkzeichen „Gl" mit dessen Voraussetzungen etc. aufmerksam. Deshalb stellte er im Frühjahr 2013 einen entsprechenden Antrag auf Neufeststellung seiner Behinderungen.
In dieser Schwerbehindertenangelegenheit hat er nach Ablehnungen sowohl im Antrags- als auch Widerspruchsverfahren um Anerkennung des Merkzeichens „Gl" Klage mit anwaltlicher Unterstützung beim Sozialgericht Gelsenkirchen gegen den Kreis Recklinghausen im Sommer 2013 erhoben.
Der ärztliche Dienst lehnte in Stellungnahmen an den beklagten Kreis Recklinghausen die Zuerkennung ab, da seine Taubheit links und an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit rechts (Hörverlust 98 %) aufgrund der Tabelle B 5.2.4 der versorgungsmedizinischen Verordnung dies nicht zulasse. Der Kreis beantragte die Klage abzuweisen.
Der vorsitzende Richter empfahl ihm mit den gleichen Begründungen schriftlich, die Klage zurück zu nehmen, weil die Voraussetzungen für das Merkzeichen „Gl" bei ihm nicht zutreffen würden. Das lehnte er natürlich mit seinem Rechtsanwalt und ausführlicher Begründung ab.
Nach weit mehr als 4 Monaten fand in dem Rechtsstreit – Az.: S 42 SB 1525/13 – am 05.11.2014 vor dem Sozialgericht Gelsenkirchen ein Termin zur Erörterung des Sachverhaltes mit. Er erschien in Begleitung seines Rechtsanwalts. Für den beklagten Kreis Recklinghausen war eine Dame anwesend.
Der vorsitzende Richter der nicht öffentlichen Erörterung informierte die Parteien, er habe über diese Klage mit seinen Richterkollegen im Schwerbehindertenrecht diskutiert und deren Meinung eingeholt. Dort war man der Meinung, dass es sich bei meiner Klage um einen äußerst interessanten Fall handelt, der „das Zeug bis zum Bundessozialgericht" hat.
In der Niederschrift zur Verhandlung wies der Vorsitzende, Richter auf folgendes hin:
„Das Merkzeichen „Gl" kann unter zwei alternativen Voraussetzungen vergeben werden. Die erste Möglichkeit ist eine Taubheit beiderseits. Die zweite Möglichkeit ist eine an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit beiderseits kombiniert mit einer schweren Sprachstörung. Letzteres liegt in der Mangelung einer schweren Sprachstörung bei dem Kläger unproblematisch nicht vor. Nach Auffassung des Vorsitzenden ist allerdings die erste Voraussetzung (Taubheit beidseits) unter Anwendung der versorgungsmedizinischen Verordnung bei dem Kläger gegeben. Unter B 5.2.4 enthält die Versorgungsmedizinverordnung eine tabellarische Aufstellung, welche darstellt, bei welchem Grad des Hörverlustes in Prozent welcher korrelierender Grad der Behinderung resultiert. Dabei beginnt die Tabelle mit Hörverlusten in prozentualen Schritten in 20 %. (0 – 20, 20 – 40, 40 – 60, 60 – 80). Diese ausschöpfende Beurteilung der prozentualen Hörverluste wird in der Tabelle allerdings nicht konsequent zu Ende geführt. Denn der vorletzte Abschnitt – an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit – ist mit einem Hörverlust von 80 bis 95 % angegeben. Als nächstes wird die Taubheit mit einem Hörverlust von 100 % angegeben. Die Spanne von 96 bis 100 % ist hingegen in dieser Tabelle so auf den ersten Blick nicht erfasst. Allerdings kann nach Auffassung des Vorsitzenden aus dem Umstand, dass eine an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit eben bei einem Hörverlust von 95 % endet konsequenterweise geschlossen werden, dass ein Hörverlust von mehr als 95 % als taub im Sinne der Versorungsmedizinverordnung gilt.
Dementsprechend liegen nach Auffassung des Vorsitzenden im vorliegenden Fall die Voraussetzungen des Merkzeichens „Gl" vor, da der Kläger unter Taubheit beiderseits leidet.
Es wurde folgender Vergleich geschlossen:
- Dem Kläger wird ab dem Zeitpunkt des Antrages das Merkzeichen „Gl" anerkannt.
- Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens
- Die Beteiligten erklären das Verfahren S 42 SB 1525/13 übereinstimmend und vollständig für erledigt.
Die Internetseiten der Versorgungsämter bzw. des Kreis Recklinghausen informieren auch über die Voraussetzungen für das Merkzeichen „B". Dieses Merkzeichen wird behinderten Menschen, u.a. mit Merkzeichen Gl, B oder H, i.d.R. zuerkannt. Nun stehe ich im Disput mit dem Kreis Recklinghausen über Zuerkennung Merkzeichen „B". Ein entsprechender Antrag ist gestellt, über die Entwicklung und ein Ergebnis werde ich berichten.
Bericht: H.-J. Thiel